Aktuelles
Wege in die Vernichtung - Matinee zur Deportation der Sinti aus Hannover im März 1943
.
Bürgermeister Thomas Hermann ging in seinem Grußwort vor den rund 100 Gästen auf den sogenannten Auschwitz-Erlass ein, in dessen Folge ab Ende 1942 die reichsweiten Deportationen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und der Völkermord an den europäischen Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten erfolgten. Er wies kritisch auch darauf hin, dass das Schicksal der Sinti und Roma in der bundesdeutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus lange vernachlässigt wurde. Erst 1982 kam es zur offiziellen Anerkennung der Verfolgung von Sinti und Roma als Völkermord. Heute erinnern auch in Hannover eine Reihe von Mahnmalen, Hinweistafeln und Stolpersteine an die Schicksale hannoverscher Sinti. Thomas Hermann begrüßte ausdrücklich das breite Bündnis aus Stadtgesellschaft, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Sozialverbänden und Politik, sich für ein Mahnmal im Zentrum Hannovers zur Erinnerung an die Verfolgung und Vernichtung von Sinti und Roma durch die Nazis einzusetzen.
Im Mittelpunkt der Matinee standen bewegende Interviews von Überlebenden oder ihren Nachkommen.
Die Kulturdezernentin der Stadt Hannover Eva Bender las aus dem eindrucksvollen, sehr ergreifenden Interview mit der Sintiza Else Schmidt, die 1935 geboren wurde und in einer Pflegefamilie in Hamburg aufwuchs. Else Schmidt überlebte die Konzentrationslager und zog 1963 nach England. Sie heiratete dort und heißt jetzt Baker.
Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen der Deportation und Ermordung deutscher Sinti und auch der nachkommenden Generation fällt es schwer, über die Schicksale ihrer Eltern, Großeltern und anderen Verwandten zu sprechen. Unser Vereinsmitglied Regardo Rose, dessen Rat und Mitwirkung in unserem Förderverein wir sehr schätzen und der den Anstoß zum Mahnmal gab, hat unserem Vereinsvorsitzenden Michael Buckup ein Interview zu seinen Erinnerungen an seine Eltern Ernst-August und Auguste Wagner gegeben, das Michael dem Publikum wiedergab.
Das Schicksal des Sinti Hans Braun, der in den USA ein Interview gegeben hat, wurde ebenfalls von Michael Buckup vorgetragen. Hans Braun konnte sich lange verstecken und floh mehrfach vor dem Zugriff der Gestapo, wurde aber letztlich entdeckt und nach Auschwitz deportiert. Er überlebte, nachdem er in das Arbeitslager Flossenbürg gebracht wurde und dort beim Bau des Messerschmitt-Jagdflugzeugs eingesetzt wurde. Im gelang die Flucht, als das Lager geräumt wurde und über 1000 Häftlinge auf dem Todesmarsch zum KZ Dachau erschossen wurden. In den 70iger und 80iger Jahren engagierte sich Hans Braun für die juristische Anerkennung des Völkermordes an Sinti und Roma in Deutschland.
Oswald Marschall vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und stellvertretender Vorsitzender unseres Fördervereins, beschrieb eindrucksvoll die Schicksale seiner eigenen Familie, die auch sein Leben sehr geprägt haben.
Oswald Marshall stellte ebenso wichtige Informationen zur Geschichte deutscher Sinti vor und räumte mit den vielfältigen Vorurteilen gegenüber Sinti auf, was für viele im Saal völlig neue Erkenntnisse lieferte und belegte, wie wichtig mehr Wissen und Aufklärung sind.
Für die musikalische Umrahmung sorgte das Bremerhavener Sinti-Swing-Ensemble, das virtuose Glen-Hoffmann-Trio mit Gimanto Hoffmann, Jeremy Maatz und dem erst 10-jährigen Jazzmann Pohl. Sie konnten mit ihrer hinreißenden Musik der Veranstaltung eine besondere Note geben und das Publikum begeistern. Höhepunkt war ein Titel, den Oswald Marschalls Großvater in Auschwitz für das Lagerorchester komponiert hatte.
Die sehr berührenden, fast nicht vorstellbaren Berichte und Erfahrungen der Sinti in Auschwitz waren zwar in vielen Teilen schwer zu verkraften. Sie sollten die Besucherinnen und Besucher aber auch bestärken, diese schreckliche Zeit nicht nur nicht zu vergessen, sondern als Auftrag zum Handeln zu sehen.
Der Förderverein Sinti und Roma Holocaust-Mahnmal-Hannover e.V. freut sich über eine Unterstützung und Förderung des Projekts für das Mahnmal im Herzen der Landeshauptstadt.
Ein Zitat von Thomas Hermann aus seinem Grußwort, ist Mahnung und Auftrag zugleich:
„Auschwitz ist zum Symbol für den fabrikmäßig organisierten Massenmord geworden, für den Zivilisationsbruch, dessen Keim jede Gesellschaft in sich trägt. Auschwitz ist eine stetige Mahnung an uns alle, an jede demokratisch verfasste Gesellschaft, sich der Gefahr für Menschenrechte, Vielfalt und Toleranz permanent bewußt zu sein.“
Helga Schwitzer, stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins